Episode 61: Wissenskultur in der Pflegepraxis
Dr. Hans-Jürgen Wilhelm beobachtete, dass der Expertenstandard „Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz“ von Pflegenden in der stationären Langzeitpflege kaum gelesen wird. Er entwickelte zu diesem wissenschaftlichen Werk eine verständlichere Übersetzung, damit Pflegende sie in der Pflegepraxis einsetzen und das Wissen den Bewohner*innen zugute kommt. Über seine Beobachtungen zur Wissenskultur in der Pflegepraxis unterhält er sich mit mir in dieser Episode.
Weitere Informationen:
- Homepage von Dr. Hans-Jürgen Wilhelm
- Buch „Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz. Expertenstandard in der Praxis anwenden“ (Vincentz-Verlag)
- Expertenstandard „Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz“ (DNQP)
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Ich bin selbst Lehrer für Pflege in einer großen Schule, habe aber 25 Jahre in der ambulanten und stationären Pflege gearbeitet. Leider lässt Euer Podcast außer acht, dass heute iin vielen Langzeitpflegeeinrichtungen Krieg herrscht. Mit Krieg meine ich, dass Pflegekräfte bis aufs Blut ausgenutzt werden, dass Pflege inzwischen ein Beruf geworden ist, wo Entscheidungsspielräume nur noch auf dem Papier vorhanden sind. Der Abstand zwischen Schule/Fachhochschule und dem was in den Niederungen passiert, lässt sich von Menschen, die nur kurz in der Pflege gearbeitet haben, nicht ermessen. Es ist so, als erzählte ich als Alien einem Erdenbewohner von meinem Heimatplaneten. Kann man jetzt glauben oder nicht, ist aber leider so. Deshalb ist es fraglich, ob ein Soziologe und ein Hochschulmitarbeiter sich über etwas unterhalten können, was dann eine Pflegekraft im aktiven Dienst umsetzen soll.
Danke für Ihren Kommentar, Herr Bourger! Sie sprechen die große Problematik an, wie unter oftmals katastrophalen Bedingungen eine menschenwürdige (und damit meine ich sowohl zu Pflegende als auch Pflegende) Pflege möglich sein soll. Das Gegensatzpaar „die Praxis“ und „die Wissenschaft/Theorie“ möchte ich dabei aber nicht bedienen. Beides kann fruchtbar zusammenwirken. Ein Soziologe, wie es mein Gesprächspartner in der Episode ist, hat mit seinem Hintergrund eine bestimmte Perspektive, die vielleicht gerade deshalb einen Impuls geben kann, weil die Kriegsmetapher nicht ausgespielt wird. Und wenn Sie von mir als Hochschulmitarbeiter sprechen, blenden Sie aus, dass ich als Krankenpfleger, Praxisanleiter, Lehrer für Pflegeberufe und Pflegedidaktiker schon weiß, wie es „in der Praxis“ aussieht. Ich weigere mich aber, die Zustände in vielen Einrichtungen einfach so hinzunehmen, sondern möchte andere Perspektiven anbieten. Das ist jedenfalls meine Auffassung von Bildung, weil wir sie sonst nicht bräuchten und dem „Markt“ alles überlassen können.
Beste Grüße, Roland Brühe
Es hat mir leid getan, dass Pflege oder besser gesagt der einzelne Mitarbeiter, der tagtäglich alles gibt, in manchen Teilen als lernunwillig dargestellt wird. Ich arbeite seit vielen Jahren, auch noch während meines aktiven Dienstes, in der Fort- und Weiterbildung. Ich kann nur sagen, dass die meisten Pflegekräfte sehr offen sind neues zu lernen. Leider sind aber viele Fortbildungen nur sehr unzureichend auf die Pflegerealität zugeschnitten. Die Dozenten sprechen nicht die Sprache der Pflegenden, sie können sich nur wenig in die Tätigkeiten hineindenken. Hier fehlt einfach oft das reflektierende Element, das „selbst ausprobiert haben“ und die Evaluation. Das neue Wissen wird einfach in einer Weise über Pflegekräfte ausgegossen, die es ihnen unmöglich macht, es mit ihrem Arbeitsalltag in Verbindung zu bringen, geschweige denn zu implementieren. Dies ist in meinen Augen der vielleicht wichtigste Grund oft mangelnder Implementierung.