Episode 87: Der Pflegeprozess aus kritischer Perspektive
Der Pflegeprozess wird als zentrales Konzept des Pflegeberufes beschrieben, weil über ihn das pflegerische Tun und Handeln dargestellt und nachvollziehbar wird. Deshalb wird der Pflegeprozess auch als Ermöglichen der Professionalisierung der beruflichen Pflege angesehen. Und das auch schon recht früh in den 1960er und späteren Jahren – wie Dr. Jette Lange im Rahmen ihrer diskursanalytischen Forschung festgestellt hat. Sie stellt in ihrer Untersuchung auch fest, dass der Pflegeprozess aber auch dazu geeignet ist, eine Deprofessionalisierung und einen Autonomieverlust der Pflege zu bewirken. Mit Dr. Lange spreche ich über den Pflegeprozess an sich und ihre Forschungsbefunde.
Weitere Informationen:
- Jette Lange (2024): The Nursing Process as a Strategy for a (De-)Professionalization in Nursing
- Professionalisierungsbegriff (Wikipedia)
- Das pflegerische Tableau (Episode 3 mit Prof. Dr. Wolfgang von Gahlen-Hoops)
- Roland Brühe und Sabine Theis (2008): Denkstile und professioneller Pflegeprozess: Wie beurteilen Lehrende an Krankenpflegeschulen Pflegeplanungen von SchülerInnen?
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Danke für das tolle Interview und die interessanten Einsichten in die Arbeit (die bei mir auch schon auf der Leseliste steht).
Ich kaue da auch seit einiger Zeit auf einige Fragen rum und frage mich mittlerweile, wie weit da eben auch das Ökonomische in den Gesundheitssystemen eine Rolle spielt. Und ich befürchte ja, egal wie eng oder weit man Pflege und den Pflegeprozess fasst, wenn nur ein bestimmter Bruchteil abrechenbar und erlösrelevant ist, dann wird sich „die Praxis“ zwangsläufig drumherum organisieren (zeigt sich ja beispielsweise in den Berichten, nach denen Hilfs- und Servicekräfte ohne pflegerische Ausbildung abgezogen schlimmstenfalls entlassen werden weil sie über das Pflegebudget nicht mehr refinanziert werden). Und vermutlich muss man anerkennen, dass immer nur soviel Professionalisierung zugelassen wird, wie es mit Systemlogiken und wirtschaftlichen Interessen kompatibel ist.
In Sachen Zeitschriften eine kleine Anekdote aus meiner eigenen Masterarbeit. Da habe ich mich zum Thema Schwesternanrede auch sehr mit alten Ausgaben von Pflegezeitschriften befasst und es war sehr erhellend, wie eindeutig sich die Artikel in der Regel gegen die Beibehaltung der Schwesternanrede aussprachen, während sich spätestens in abgedruckten Leserbriefen zumindest ein differenzierteres Meinungsbild zeigte. Die Funktion die unsere Fachmedien in berufspolitischen Diskursen erfüllen, wäre natürlich nochmal ein weiteres. Thema.
Danke für Deine ausführlichen Gedanken. In der Tat wäre es spannend zu schauen, in welchem Verhältnis die Beiträge in Fachmedien zu den von Pflegepersonen in den Praxisfeldern geteilten Positionen stehen. Und wer auf was welchen Einfluss hat.
Jette Lange hat ein Tor aufgestoßen. Ich wünsche der Dissertation weite Verbreitung und den Ergebnissen eine ernsthafte Beschäftigung innerhalb der beruflichen Pflege.
Vielen Dank, Roland Brühe für das Interview. Der Versuch der beruflichen Pflege, mit herkömmlichen Mitteln der Professionalisierung zu reüssieren, muss scheitern, wenn die bisherige Stellung von Professionen in Auflösung begriffen ist. Das ist wirklich treffend herausgearbeitet.
Ich wünsche der beruflichen Pflege, dass sie aus der gesetzlich und selbst auferlegten Begrenzung, das Konstrukt Pflegeprozess als das Proprium der Pflege zu begreifen, herausfindet. Die arbeitssoziologischen Forschungen von Fritz Böhle, Margit Weihrich und Wolfgang Dunkel zur Interaktionsarbeit und zum Erfahrungswissen könnten helfen, dafür auch einen sprachlichen Ausdruck zu finden. Mit empCARE arbeiten wir an einer Professionalisierung der Interaktionsarbeit und der Beziehungsprozesse, von denen im Gespräch die Rede ist. Übrigens ein wichtiger Faktor bei der Prävention von Burnout/Coolout.
Eine interessante Dissertation, die deutlich macht, dass – auch Jahrzehnte nach Einführung – der Pflegeprozess in seiner Komplexität und vollen Dimension im Alltag noch nicht angekommen ist. Berufe sind stets mit dem Zeitgeist der Gesellschaft und den von ihr definierten Bedarfen und Anforderungen verknüpft. Dr. Lange hat das sehr schön herausgearbeitet. Logik und Zielorientierung stehen nicht im Widerspruch zu Emotion und Intuition, sondern ergänzen sich im besten Fall für eine möglichst gewalt- (macht-)freie therapeutische Beziehung auf Augenhöhe.